Eine emotionale Lehrerfortbildung in Oświęcim

Eine emotionale Lehrerfortbildung in Oświęcim

Oświęcim liegt circa eine Autostunde von Krakau und 40 Minuten von Katowice entfernt in unserem Nachbarland Polen. Was könnten zwei Lehrkräfte der Alexander-Behm-Schule in Tarp hier wollen? Warum nehmen sie eine 24stündige Zugfahrt mit Verspätungen, zugigen Bahnhöfen und spontanen Routenwechseln in Kauf? Das polnische Oświęcim ist uns allen wohl besser bekannt als Auschwitz. Zu Zeiten des Nationalsozialismus war dieses Gebiet unter deutscher Herrschaft und weil die Polen damals nichts mit der Gräuel von Auschwitz zu tun hatten, hören sie es lieber, wenn Besucher den Ort Oświęcim und das Konzentrationslager Auschwitz nennen. Unsere Fortbildung „Auschwitz im Unterricht“ wurde vom Maximilian-Kolbe-Werk bestens organisiert. Schon Tage vorher war uns ein Programmablauf gemailt worden, der nach einem straffen Zeitplan aussah – und dies bestätigte sich jeden Tag aufs Neue!

Die ersten Tage und Nächte sind wir im Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim untergebracht – die Zimmer sind einfach und schlicht, ganz im Gegensatz zur reichlichen und herzhaften Verpflegung. Und obwohl wir nach unserer Ankunft von der strapaziösen Zugfahrt völlig gerädert sind, sind wir beim Vortrag über Holocaust Education von Dr. Heike Wolter wieder hellwach. Ich als „Nicht-Geschichtslehrkraft“ bekomme viele neue Impulse und denke, dass es den Geschichtslehrkäften genauso ergeht. Erinnerungen an meinen eigenen Geschichtsunterricht als Schülerin werden wach und ich freue mich, als ich höre, dass es heute nicht mehr darum geht, die Schülerinnen und Schüler möglichst betroffen zu machen, sondern darum, sie aufzuklären und stark zu machen, dass so etwas nicht wieder passiert. Weg vom Unterrichtsziel „alle müssen Tränen in den Augen haben“ hin zu „Du bist nicht schuld. Gleichzeitig trägst du Verantwortung für die Zukunft“.

Gleich am nächsten Tag gehen wir zu Fuß in die Gedenkstätte Auschwitz I-Stammlager. Durch das neue, große Beton-Eingangsportal kommen wir nur nach einem ausführlichen Sicherheitscheck – wie an einem Flughafen. Der darauffolgende Weg durch das Gebäude mutet dem Gang der Lagergefangenen ins Krematorium an. Eine monotone Stimme liest die Namen der 1,5 Millionen Menschen vor, die hier getötet worden sind. Sofort schlägt die Stimmung der 17 Lehrkräfte um. Das Lager besteht aus einigen Backsteinbaracken, die heute Ausstellungen beherbergen. Und wir finden sie wieder, die Bilder, die wir aus dem Geschichtsbuch, aus dem Unterricht und aus den Medien kannten: 7 Tonnen abgeschnittene Haare; Berge von Schuhen, Koffern und Brillen; Hunderte Prothesen, Gehhilfen und Stützkorsagen. Besonders die Ausstellung zum Thema „Kinder in Auschwitz“ trifft mich hart. Eine innere Wand zieht sich hoch, so dass ich die Erschießungswand, die Galgen und das Krematorium wohl sehe und als solches erkenne, aber nicht weiter in mein Inneres vordringen lasse. Zum Glück gibt es im Anschluss ein Reflexionsgespräch. Hier findet unter anderem eine spannende Diskussion über die Fotografien der Ausstellung statt: Bei den meisten Bildern handelt es sich um Fotografien aus der Perspektive der Täter. Sie sind mit voller Absicht entwürdigend und demütigend. Sollten wir als Besucher wirklich diese Perspektive einnehmen oder sollten nicht besser andere Fotografien gezeigt werden, beziehungsweise auf diese Problematik hingewiesen werden? Der Nachmittag und der Abend haben es auch wieder in sich: Es werden 3 Workshops mit Ideen zur Umsetzung im Unterricht und zur Diskussion bestimmter Themen sowie eine Projektbörse angeboten.

Das straffe Programm geht gleich am nächsten Tag weiter. Wir fahren nach Auschwitz II-Birkenau. Durch die zugigen Pferdeställe pfeift der Wind. Es ist kalt und klamm. Wir frieren trotz der dicken Winterjacken, wetterfesten Schuhe, Mützen und Schals. Uns wird bewusst, dass in diesen Pferdeställen Menschen unter schrecklichsten Bedingungen gelebt haben. Zum Teil hatten sie nur ein Kleidungsstück und keine Unterwäsche, von anderen Annehmlichkeiten ganz zu schweigen. Besonders die Baracke, in der die Kinder gelebt haben, beeindruckt uns im negativen Sinne. Gemälde von Kindern mit Spielzeug sollen den Kindern, die hier eingesperrt sind, wohl zeigen, wie eine normale Kindheit hätte aussehen können. So viel Zynismus und Sarkasmus lassen uns wütend zurück. Vor allem, als wir die Geschichte des kleinen Mädchens hören, die vor Sehnsucht nach ihrer Mutter starb, wollen wir diesen schrecklichen Ort schnellstmöglich verlassen. Der Schock sitzt noch tief, als am Nachmittag eine Zeitzeugin von ihren Erfahrungen als Kind in genau dieser Baracke erzählt. Zdzisława Włodarczyk, eine rüstige Dame, ist nett und freundlich und begrüßt uns in der ihr eigentlich verhassten Sprache Deutsch. Sie berichtet von der Zeit im Lager, als sie fast erfroren und verhungert wäre, aber immer auf ihren kleinen Bruder aufgepasst hat, von der Befreiung des Lagers und ihrem weiteren Leben. „Ihr könnt ja nichts dafür!“, gibt sie uns mit auf den Weg. Nach einem weiteren Vortrag gönnen wir Kollegen und Kolleginnen uns ein oder zwei polnische Getränke im Kaminzimmer – bei einem netten Schnack verdauen wir das Erlebte so, dass wir am nächsten Tag wieder aufnahmefähig sind.

Denn es geht nach Krakau! Hier werden wir von Sebastian Potschka, einem Lehrer und Straßenbahnfahrer aus Grevenbroich, zu den Erinnerungsorten KZ-Plaszow, dem Krakauer Ghetto und Schindlers-Fabrik geführt. Er beeindruckt uns mit seinem Wissen zum Film und der realen Person Oskar Schindlers. So ließ Steven Spielberg die Statisten des Films über die blaue Brücke marschieren, jedoch in entgegengesetzter Richtung, denn niemals mehr sollten so viele Menschen aus dem Ghetto in Richtung des Konzentrationslagers gehen. Am Nachmittag hören wir einen Vortrag von Herrn Potschka über die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz mit Schülerinnen und Schülern. Am nächsten Tag endet unsere Fortbildung mit einer Führung durch das jüdische Viertel Kazimierz in Krakau.

Mir schwirrt noch einige Tage später der Kopf ob all der Eindrücke, die auf mich eingewirkt haben. Es war anstrengend und erschütternd und gleichzeitig richtig und wichtig, diese Fortbildung trotz des immens vollen Programms unternommen zu haben. Selbstverständlich soll diese Fortbildung auch den Schülerinnen, Schülern und der ganzen Schule zu Gute kommen. Das Thema „Auschwitz als Gedenkstätte“ steht bereits als Punkt in unserem Programm für zwei Schüleraustausche mit Schulen aus Polen. Außerdem wird das Thema auf einer passenden Vorhaben- oder Projektwoche angeboten werden. Herzlichen Dank an alle Beteiligten!

Text: L. Matzen